Menschen werden größer und kleiner – Was machen ihre Arbeitsmöbel?

variationIm Dezember 2005, wurde die überarbeitete Fassung der DIN 33402-2 veröffentlicht. Gegenüber dem Vorgängerdokument DIN 33402-2: 1986-10 wies die neue Fassung die folgenden Änderungen auf:

  • -die Werte wurden vollständig überarbeitet und an den neuesten Stand angepasst
  • die untersuchte Bevölkerung war nicht mehr nach Staatsangehörigkeit definiert, sondern umfasst alle Personen, die in der Bundesrepublik wohnhaft sind
  • die Altersgruppe 3 Jahre bis 17 Jahre wurde nicht mehr erfasst.

Die Auswirkungen auf alle Bereiche, in denen menschliche Körpermaße eine bedeutende Rollen spielen, sind erheblich. Hierzu gehört auch die Arbeitsplatzgestaltung, insbesondere im Bürobereich.

 

Unser Institut hat im Auftrag des Deutschen Büromöbel Forums mögliche Konsequenzen aus den neuen Daten und Erkenntnissen untersucht. Zunächst ist festzustellen, dass die neue Struktur der berücksichtigten Menschen dazu führt, dass Menschen mit kleinerem Körperwuchs hinzugekommen sind. Gleichzeitig ist festzustellen, dass die ursprüngliche deutsche Bevölkerung wesentlich größer geworden ist, was sich bei den Personen unter 25 Jahren nieder schlägt. D.h., die Schere zwischen kleinen und großen Menschen ist weiter aufgegangen.

 

Ein Mensch kann Handtaschen verschiedener Größe benutzen, bei Handschuhen hingegen sollte er schon etwa die richtige Größe wählen. Will er gar damit operieren, müssen sie hauteng sitzen, für Schneeschippen hingegen reichen Fäustlinge. Das allgemein bekannte Geheimnis heisst Anpassung. Je diffiziler die Aufgabe und je länger die Arbeit daran, desto genauer müssen alle Werkzeuge und Arbeitsmittel „sitzen“, sonst leidet die Qualität der Arbeit oder der Mensch, nicht selten leiden beide.

 

Die Anpassung an unterschiedliche Körpergrößen der Benutzer bei den Büromöbeln wurde im wesentlichen dadurch vorgenommen, dass man einen verstellbaren Drehstuhl vorsah und eine in der Höhe verstellbare Fußstütze einsetzen sollte. Die Tischhöhen wurden fest mit 720 mm genormt, weil man früher höhenverstellbare Tische weder technisch noch wirtschaftlich realisieren konnte. Die Notwendigkeit für eine Höhenverstellung wurde aber bereits 1968 (!) gesehen. Heute ist sie dringlicher als je zuvor, weil wir nicht nur länger am Bildschirm im Büro sitzen, sondern auch noch zu Hause. Wir tippen nicht mehr nur Daten und Texte ein, sondern gestalten Grafiken, retuschieren Bilder oder schneiden Filme. Deswegen sind die Anforderungen an die Präzision der Benutzung auch gewachsen.

 

Das Konzept ging deswegen nicht auf, weil die Fußstützen weder in großer Zahl entwickelt noch eingesetzt wurden. Außerdem musste sich ein nicht unerheblicher Teil der Benutzer unter den Tisch „klemmen“, weil dieser zu niedrig war. Durch die neue Situation ist der Anteil von Benutzern, die mit den Füßen nicht den Fußboden erreichen, genauso gestiegen wie der Anteil der Menschen, die sich unter den Tisch klemmen müssen.

 

Die Studie zeigte, dass die konsequente Folge eine Höhenverstellung der Möbel war. Wenn man weiterhin berücksichtigt, dass auch die beste Sitzhaltung auf Dauer belastend ist, kann eine gesundheitlich zuträgliche Gestaltung von Büroarbeitsplätzen nur im Steh-Sitzkonzept gesehen werden. Erfreulich ist, dass heute nicht nur einige wenige Hersteller entsprechende Möbel anbieten, sondern auch die wirtschaftliche Barriere gefallen ist.

 

Das Konzept der „Anpassung“, das damals nur in Bezug auf die Körpergröße berücksichtigt wurde, hat eine sehr erfolgreiche Karriere hinter sich, aber auch eine ähnliche noch vor sich. Diese hatte im Jahr 1976 mit einem Entwurf von DIN 66234-6 „Bildschirmarbeitsplätze – Gestaltung des Arbeitsplatzes“ begonnen. Hierbei ging man von den traditionellen Vorstellungen ab, hie ein Schreibtisch, da ein Schreibmaschinentisch, und empfahl eine Anordnung, bei der jeder Benutzer seine Arbeitsmittel (Bildschirm, Papier, Konzepthalter, Tastatur etc.) nach Bedarf platzieren konnte. Dazu musste als Hürde eine „Kleinigkeit“ überwunden werden, das Design der Technik. Denn Bildschirme waren unhandlich, oft mit der Tastatur verbunden, und diese auch noch unhandlich. Es musste eine Lösung gefunden werden, die mit den unerwünschten Eigenschaften umgehen konnte, aber als Möbel möglichst nachhaltig bestehen bleiben konnte. Denn die Änderungen würden kaum von heute auf morgen kommen und vor allem nicht für alle gleichzeitig.

 

Das Konzept wurde von der Verwaltungsberufsgenossenschaft in eine Sicherheitsregel aufgenommen, die es wie folgt illustrierte:

Für Sachbearbeiter mit nicht bekannter Arbeit sollten die ersten drei Varianten möglich sein. Wenn die Aufgabe fest steht, konnte man den Arbeitsplatz fest dimensionieren (unten, rechts). Zu beachten ist, dass bei der Tischbreite jeweils ein Minimum angegeben ist und bei der Tischtiefe nur X steht. Dieses Maß ergab sich aus den Abmessungen der Geräte. So brauchte man 1980 Tische mit einer Tiefe bis 1000 mm bis 1200 mm. Wer Standardgeräte benutzte, kam mit 800 mm hin. Etwa ab dem Jahr wäre die erforderliche Tiefe etwa 700 mm gewesen. Die Geräte diktierten dann nicht mehr die Tischtiefe.

Für alle Varianten sollte die Tastatur maximal 30 mm hoch sein. Heute gibt es gute Tastaturen mit einer Tiefe von weniger als 10 mm.

 

Die einzige Abweichung der Anforderungen von 1980 von denen, die man 2005 formuliert hätte, bestand darin, dass höhenverstellbare Tische nicht vorgeschrieben wurden. Das lag an dem Mangel der Möbeltechnik. Es gab nur wenige verstellbare Tische, die stabil genug waren.

 

Die Anforderungen änderten sich, als die ISO Norm ISO 9241-5 1998 erarbeitet wurde. Diese Norm erwähnt nicht einmal Tische, sondern Abstellflächen für Arbeitsmittel und Sitzmöbel. Dafür wurde jeweils eine Standardsitzhaltung für Sitzen und Stehen formuliert, die völlig unabhängig von der Technik ist. So ist jede Anordnung zulässig, in der der Mensch sitzen oder stehen kann, so sie technisch  möglich ist. Das Konzept der „Anpassung“ (Englisch fit) wurde zum ersten Grundsatz der Norm. Sie muss im Prinzip für jedes Individuum erreichbar sein.

 

Da man Prinzipien zwar befolgen, aber nie ganz erfüllen kann, ließ die Norm zu, dass die Möbel verstellbar, in mehreren Größen verfügbar oder gar individuell hergestellt sein können. Dieses Konzept wurde von den nordamerikanischen Möbelherstellern als Design Guide im Jahre 2000 übernommen. ISO 9241-5 stellte auch eine Grundlage für die europäischen Möbelhersteller dar.

 

Die kommende Revision dieser Norm (voraussichtlich 2024) normt auch die Steh-/Sitzhaltung als dritte Ausführung.

 

Der letzte Karrieresprung für das Konzept Anpassung liegt unmittelbar bevor. Die kommende Norm für die Büromöbel für Nordamerika (BSR/BIFMA x10.1: 2024) wird dieses Konzept als den fundamentalen Grundsatz benutzen:

„The application of the ergonomics principle Fit for the intended user population, as defined by ISO 9241-500, 4.2.2, is the primary basis of this Standard:

 

Fit concerns the extent to which the equipment [including: work chairs, worksurfaces, information and communications technology (ICT)] can accommodate individual users‘ needs within the intended user population.

 

Good fit is needed for the intended user population including users sharing workspaces or workstations and users with special needs (see 4.3 – ISO 9241-500).

 

The design of the environment (e.g., selection and design of furniture and equipment, characteristics of lighting, ambient temperature) should consider the needs of the intended user population.

 

In addition, the design of the environment including the workstations should be appropriate for the range of tasks to be performed in the specific environment, taking into account user characteristics (e.g. task-related skills, anthropometric variation, and user preferences).“

 

Das hier zitierte Grundprinzip wurde von Dr. Çakir geschrieben, der Projekteditor für die Normen ISO 9241-5 und ISO 9241-500 war, wie auch bei den vorangegangenen Vorhaben, die oben skizziert werden.

 

Möglich wurde diese Karriere durch die erfolgreiche Kooperation mit dem zuständigen DIN-Gremium sowie mit der Verwaltungsberufsgenossenschaft.

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