Qualität statt probieren
Obwohl der Begriff „Qualität“ seit 2500 Jahren existiert, und obwohl sich fast alle Denker seit der Antike mit der Qualität auseinander gesetzt haben, ist Qualität vielen dennoch kein Begriff. Eigentlich ist sie einfach zu verstehen: „Eignung für den vorgesehenen Zweck“. Möchte ich einen Schreibstift haben, der 20 Jahre ohne Wartung funktioniert, ist der feinste Füller mit Goldfeder nutzlos. Will ich beim Unterzeichnen eines Vertrags meinem Gegenüber imponieren, ist er bestimmt „hohe Qualität“.
Den „vorgegebenen“ Zweck kann entweder der Hersteller eines Produkts festlegen oder der Käufer bzw. Nutzer. Beides ist legitim. Legt ihn der Hersteller fest, kann er ganz schön daneben liegen, wenn er die Bedürfnisse des Nutzers nicht richtig abgeschätzt hat. Um nicht in diese Falle zu tappen, haben viele Hersteller ausgeklügelte Systeme für die Erforschung der Bedürfnisse der Nutzer entwickelt. Dennoch wird es viele Fälle geben, bei denen man sie entweder falsch abgeschätzt hat, oder der Nutzer hat sich zwischen der Ermittlung der Bedürfnisse und der Realisierung des Produkts gewandelt. Nicht selten wandelt sich auch das Umfeld.
Eines der besten Beispiele für den Wandel des Umfelds bietet das Projekt „Iridium“, das mobile Verbindungen überall auf der Welt realisieren sollte. Wäre die Welt so geblieben, wie sie zur Zeit der Planung von Iridium gewesen ist, wäre dem Projekt ein recht großer Erfolg vorhergesagt werden können. Als die 66 Satelliten des Iridium-Systems im Orbit waren, waren aber auch in den entlegensten Gebieten der Erde zumindest Wohngebiete mit einem oder mehreren GSM-Netzen überzogen worden. Das „Handy“ hatte mittlerweile die Welt erobert. So blieben den Iridium-Anwendern nur wirklich entlegene Landschaften übrig. Das System stürzte ab. Mit ihm auch sein Erfinder, Motorola, eine stolze Firma, ohne die Jahrzehnte nichts ging. Sie war 1926 gegründet worden und hatte das erste kommerziell erfolgreiche Autoradio der Welt im Jahre 1930 gebaut. Ein Synonym für mobilen Musikempfang. Später sollte sie beim Mobilfunk überhaupt die Führung übernehmen. In 2011 kam das Ende. ein Nobody, Google, kaufte ihre Reste auf und verkaufte sie zwei Jahre später an Lenovo, wo 10 jahre zuvor der „Erfinder“ des Personal Computers, PC Sparte von IBM, gelandet war.
Ein gutes Beispiel für den Wandel des Nutzers ist der SMS-Verkehr. Täglich Milliarden Textnachrichten! Nur zwei Jahrzehnte zuvor hatten sich die Teilnehmer eines Versuchs der Deutschen Bundespost geweigert, auch nur ein paar Worte über die Telefontastatur zu tippen. Was hat den Unterschied bewirkt? SMS schreiben entsprach einem Bedürfnis, während der Versuch der ehemaligen Deutschen Bundespost dazu diente, die Last bei der Telefonauskunft dem Teilnehmer zu übertragen. Mittlerweile ist aber auch die SMS weitgehend Geschichte. In Deutschland ging die Zahl der gesendeten Kurznachrichten von 59 Milliarden in 2012 auf 7,8 in 2021 zurück.
Sog. Report Systeme werden meistens in Bereichen mit hohen Risiken wie z.B. Luftfahrt oder Kerntechnik eingesetzt, um aus auftretenden Fehlern zu lernen. Diese transportieren aber nur „negative“ Information über Unfälle, Störfälle etc. Man kann sie zwar auch bei Alltagsprodukten einsetzen, allerdings nur, um aus Fehlern zu lernen. Aus dem Erfolg zu lernen, ist solchen Systemen nicht eigen. Was ist der Grund, wenn z.B. ein Produkt sich sehr gut verkauft? Er könnte tatsächlich darin liegen, dass es den Bedürfnissen der Käuferschaft entspricht. Er kann aber genauso gut daran liegen, dass das Marketing erfolgreich gewesen ist. Oder der Mitbewerb unfähig. Bei erfolgreichen Produkten denkt man nicht allzu tief darüber nach.
Wir haben durch Auswertung von langjährigen Ereignissen wie großen Industrieunfällen, Erfahrungen vieler Projekte und eigens angestellte Studien die These aufgestellt, dass sich Qualität im Sinne des Nutzers langfristig sichern lässt, indem man Report Systeme sinnvoll aufbaut. Der beigefügte Artikel, in einem renommierten Verlag erschienen, beschreibt diese Studien (Stand 1998). Leider nur in Englisch. Eine Überarbeitung des Artikels wurde nach einer späteren Prüfung nicht mehr in Erwägung gezogen, weil auch im Jahre 2018 die Schlussfolgerungen dieselben wären. Man könnte bestenfalls hinzufügen, dass ein als Nachweis unserer Thesen (Qualität an den User-Vorstellungen messen) angeführte Produkt (Boeing 737, nicht vorgesehen vom Hersteller, auf Vorschlag der Lufthansa gebaut) seit der Veröffentlichung des Artikels viele weitere Rekorde gebrochen hat: Weltweit befanden sich im Jahr 2015 etwa 2000 dieser Flugzeuge gleichzeitig in der Luft. Bis heute findet die 737-Familie mit 16.158 Bestellungen und 11.615 Auslieferungen (Stand: Ende November 2023) einen sehr guten Absatz. Es gib eine kaum überschaubare Vielfalt an Modellen und Typen bis hin zu fast völligen Neuentwicklungen. Dabei hatte Boeing die ersten B 737 aus Teilen der B 727 zusammen gesetzt, um ein Flugzeug zu bauen, das dem Bedarf des Großkunden Lufthansa im innerdeutschen Verkehr entsprechen sollte.
56 (!) Jahre nach ihrer Einführung dieser nach den Qualitätskriterien des Kunden gebauten Flugzeuge befinden sie sich immer noch im Aufwind. Das sorgfältig nach den Vorstellungen des Herstellers geplante Produkt hingegen, war bereits 1998 Geschichte. Im Jahr 2015 flogen nur noch zwei Exemplare im Passagierverkehr. Die letzte Boeing 727 flog am 13. Januar 2019. Insgesamt wurden 1831 Maschinen gebaut.
Report Systeme, die nicht nur negative Ereignisse rückmelden, sondern auch positive, können wie Usability Betrachtungen auch, nachträglichen Erfolg sichern.