Bildschirmarbeit Nutzer gerecht normen!
Deutschland war das erste Land, in dem eine umfangreiche Normungsarbeit im Sinne derjenigen durchgeführt worden ist, die mit dem Computer arbeiten. Sie wurde bereits im Jahre 1972 (!) von Dr. Harald Koch (Siemens AG) und Prof. Albert Armbruster (TU Berlin), einem der beiden späteren Gründer des ERGONOMIC Instituts, begonnen. Das Bemerkenswerte an diesem Normungsprojekt: Es wurde nicht der Stand der Technik genormt, sondern das, was von ihr erwartet wird. Ein äußerst seltener Fall von prospektiver Normung!
Die Basis für diese Normung wurde im Rahmen des Forschungsprojektes “Anpassung von Bildschirmarbeitsplätzen an die physische und psychische Funktionsweise des Menschen” erarbeitet, das von einem interdisziplinären Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Çakir, dem anderen Gründer des ERGONOMIC Instituts, durchgeführt worden ist. Dieses Projekt wurde vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung das Projekt als erstes Forschungsvorhaben aus dem Programm „Humanisierung der Arbeit“ großzügig gefördert. Die Erkenntnisse dieses Projektes flossen auch ein in die „Sicherheitsregeln für Bildschirm-Arbeitsplätze im Bürobereich“ (ZH1/618), die von den Berufsgenossenschaften in enger Zusammenarbeit mit dem Normungsgremium erarbeitet wurden, allerdings viel zügiger.
Das Projekt fand seine Fortsetzung in den 80-er Jahren, als die ISO im Jahr 1983 das umfangreichste Normenwerk zu erarbeiten begann: ISO 9241 – Ergonomische Anforderungen für Bürotätigkeiten mit Bildschirmgeräten., später „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion“. Die zunächst 17-teilige Normenreihe widmete sich der Technik und ihrer Anwendungen. Eine besondere Bedeutung besaß und besitzt die Norm ISO 9241-11, die Grundlage für „usability engineering“. Die Beteiligten an der Erarbeitung dieser Normen haben mit ihrer Arbeit eine Ingenieurdisziplin geschaffen. Im Laufe der Zeit wurde ISO 9241 ergänzt durch „verwandte“ Normen wie z.B. ISO 13407, die sich mit der benutzerorientierten Gestaltung interaktiver Systeme befasst, und die Normenreihe ISO 14915 „Software-Ergonomie für Multimedia-Benutzungsschnittstellen“. Derzeit sind über 80 Normen gelistet (Stand 1.1.2024).
Das ERGONOMIC Institut hat sich seit seiner Gründung an diesen nationalen und internationalen Normungsarbeiten intensiv beteiligt. So wurden z.B. unter der Leitung von Dr. Çakir bis zum Jahr 1999 vier ISO-Normen zum Arbeitsplatz, zur Arbeitsumgebung und zu Tastaturen und sonstigen Eingabemitteln als Convener und Editor erarbeitet. Später folgten weitere fünf, von denen drei auch die ergonomischen Grundsätze für die Körperhaltung, Interaktion mit der Umgebung und mit dem Computer (Eingabe) festgelegt haben.
Seit mehreren Jahren erfolgt eine Neustrukturierung der Normenreihe ISO 9241 vor dem Hintergrund, dass produktbezogene und betriebliche Festlegungen, zwar aufeinander abgestimmt, aber in getrennten Normen geregelt werden. Als erstes Produkt unserer Arbeit ist die Norm DIN EN ISO 9241-400 „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 400: Grundsätze und Anforderungen für physikalische Eingabegeräte“ entstanden. Diese legt weltweit die Prinzipien für Eingabegeräte für „Computer“ fest. Darunter fallen allerdings auch Mobiltelefone und PDAs.
Auf der Basis dieser Norm wurde DIN EN ISO 9241-410 „Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 410: Gestaltungskriterien für physikalische Eingabegeräte“ entwickelt, die im Frühjahr 2008 erschienen ist. In dieser Norm werden alle ergonomischen Anforderungen an Eingabegeräte behandelt. Die wichtigste Neuerung in dieser Norm ist die Abschaffung der großen Tastatur als Standard. Der „Standard“ für Computer wird als „Kompakt-Tastatur“ festgelegt. Dieser Standard hat nicht überall gegriffen, weil auf den Tischen noch Platz zu sein scheint. Doch der physikalische Platz auf dem Tisch ist relativ unbedeutsam gegen den Platz im Greifraum des Menschen, den die Maus mit der Tastatur teilen muss. Die große Tastatur nimmt mehr Platz ein als der Greifraum des größten Menschen hergibt.
Ein weiterer ISO-Standard ist ISO/TR 9241-610:2022 „Impact of light and lighting on users of interactive systems“. Dieser Standard analysiert behauptete und festgestellte Wirkungen des Lichtes auf den arbeitenden Menschen, deren mögliche Ursachen und Zusammenhänge mit der Computernutzung. er gibt eine Reihe von Empfehlungen, wie man auf Wirkungen reagieren soll, über die in der Fachwelt Einigkeit besteht. So z.B. über den Lichtmangel in Arbeitsstätten bei Tage und Überfluss an Licht abends und in der Nacht. Der Mensch braucht zu Morgenstunden mehr und bläulicheres Licht, damit sich sein Körper in den Zustand hoher Leistungsfähigkeit einschwingt. Am Abend verlangt der Körper nach Ruhe und somit nach weniger und rötlicherem Licht. Lichttechnische Normen kennen aber keine Zeit, in Arbeitsstätten soll rund um die Uhr und an jedem Tag des Jahres ein milder Sommertag herrschen. Was technisch erwünscht und machbar schien, wurde von der Chronobiologie als ein Stressfaktor entlarvt.
Auch die nach Ansicht der Betroffenen weltweit schlimmste Umweltbedingung bei der Büroarbeit, der Bürolärm, wurde in einem von uns geschriebenen Standard behandelt. ISO/TS 9241-620:2023 „The role of sound for users of interactive systems“. Dieser Standard geht weit über die Maßnahmen der technischen Akustik hinaus, weil diese nach Aussage von VDI 2569 „Schallschutz und akustische Gestaltung in Büros“ nur für einen kleinen Teil der Störungen im Büro durch Schall verantwortlich sind: „Abschließend muss erwähnt werden, dass nur zirka 30 % bis 40 % der Belästigungswirkung aus Lärm durch technisch-akustische Faktoren erklärbar sind.“
Auch die ASR A3.7 Lärm hilft da wenig, weil diese die größte Quelle der Störungen. menschliche Sprache, außen vor lässt. Sie basiert auf dem Schallpegel, obwohl dieser für den Regelungsgegenstand der ASR (extra-auralen Lärmwirkungen) nach Aussage des gleichen Dokumentes recht irrelevant sind: „Extra-aurale Lärmwirkungen zeigen sich unter anderem in verschiedenen physiologischen und psychischen Reaktionen, die über das zentrale und das vegetative Nervensystem des Menschen vermittelt werden. Diese Wirkungen entsprechen einer Stressreaktion. Sie haben keinen strengen Pegelbezug, …“ (ASR A3.7, 4)
Hingegen konzentriert sich ISO/TS 9241-620 gerade auf diesen Faktor, weil die Sprache sowohl „Arbeitsmittel“ als auch Störquelle ist. Der Standard erklärt die Mechanismen der Störungen (z.B. Störung des Kurzzeitgedächtnisses oder des Lesens bzw. Ablesens von Zahlen durch die Störung der inneren Sprache des Menschen) und gibt situationsgerechte Lösungen an.
Da akustisch wirksame Lösungen, welche auch immer, stets damit verbunden sind, die Arbeitsumgebung und das Arbeitsverhalten auch negativ zu beeinflussen, gehört ein Verfahren zur Benutzerbeteiligung zum Inhalt der Norm. Nicht alle Geräusche stellen für alle Mitarbeiter einen Lärm dar. Und nicht für jede Schallstörung kann man eine akustische Lösung finden. Daher stehen eine Feststellung der Störungen und ihrer Natur vor den Entscheidungen zum Handeln.
Der wesentliche Unterschied zwischen ASR A 3.7 und ISO/TS 9241-620 besteht darin, dass im ersteren Regelwerk von Lärm gehandelt wird, also vom unerwünschten Schall, während die Norm von Schallereignissen spricht. Denn die Hauptstörquelle im Büro ist die menschliche Sprache, die je nach Situation und Interesse Störung oder Information bedeuten kann. Versuche, diese auseinanderzuhalten, sind seit Jahrzehnten gescheitert.
Ende des Jahres 2023 existierten folgende Teile der Normen:
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